Esposende Frühjahr 2022

(A) journey becomes a pilgrimage as we discover, day by day, that the distance traveled is less important than the experience gained. - Ernest Kurtz

Dieses Zitat trifft die Erfahrung, die ich während meines Fortbildungskurses im April 2022 gesammelt habe, sehr gut. Nachdem ich Corona-bedingt zuletzt im Sommer 2019 einen Fortbildungskurs im Rahmen der KA1 besucht habe, war meine Freude umso größer, als ich im Januar das Kursangebot des School Education Gateway durchgeschaut hatte. Ein Kurs weckte sofort meine Aufmerksamkeit: Reflexive learning along camino de Santiago. Nicht nur das Thema klang interessant, sondern auch der Ort und die Art des Kurses. Es sollten die letzten sieben Etappen (etwa 120km) des Camino portugués mit dem Ziel Santiago de Compostela gepilgert werden. Der Kurs war quasi der Jackpot für mich.

Die Reisevorbereitungen waren aufregend, denn der Inhalt des Wanderrucksacks sollte gut überlegt sein. Wanderstiefel wurden gekauft und eingelaufen, Sachen eingepackt und aufgrund des Gewichts wieder ausgepackt. Am Ende wog der Rucksack knappe 8kg. Ein gutes Reisegewicht, wie ich feststellte.

 

Am Donnerstag, den 7. April flog ich von Hamburg über Frankfurt nach Santiago de Compostela. Es war für mich wie ein Nach-Hause-Kommen, da ich das Schuljahr 2016-2017 dort als Fremdsprachenassistentin verbracht hatte. Ein herrliches Gefühl! Meinen Koffer ließ ich abends bei einer Freundin und reiste nur mit meinen Wandersachsen am Freitagmorgen um 6.15 Uhr mit dem Zug nach Nordportugal. Mein erster Reisestopp war Barcelos, wo ich am Bahnhof von Cláudia und Candido abgeholt wurde. Die beiden nehmen mit ihrer Schule an unserem Erasmus+ - Projekt How Roman Are You? teil. Und da Barcelos nur etwa eine halbe Stunde von Esposende, von wo mein Kurs starten sollte, entfernt lag, bot sich ein Besuch und Kennenlernen an. Sie zeigten mir ihre Schule und stellten mich anderen Lehrkräften vor. Vier von ihnen lernte ich später während der Projektmobilitäten in Kroatien und Spanien kennen.

In Esposende angekommen, erkundete ich nachmittags das kleine Örtchen, was direkt am Atlantik liegt und im Sommer aufgrund seiner langen Strände proppenvoll sein muss. Am 9. April fand ich dann endlich heraus, wer noch am Kurs teilnehmen würden. Zwei Lettinnen, Laura und Ieva, sowie unser Kursleiter Jorge. Eine kleine, aber wirklich tolle Gruppe. Nach einer kurzen Kennenlernrunde wurden wir von Guillaume, dem Sohn des Kursleiters, nach Tui gebracht. Die Stadt liegt am Fluss Minho, der einen großen Teil der nördlichen Grenze zwischen Spanien und Portugal ausmacht. Direkt an der Kathedrale wurden wir abgesetzt, sodass wir unsere Pilgerpässe besorgen und uns direkt auf den Weg machen konnten. Unsere Etappen sollten sein:

1) Tui - O Porrinho (18km)

2) O Porrinho - Redondela (16km)

3) Redondela - Pontevedra (18km)

4) Pontevedra - Caldas de Reis (23km)

5) Caldas de Reis - Padrón (18,5km)

6) Padrón - Santiago de Compostela (25km)

Auf der ersten Route hatten wir traumhaftes Wetter und konnten uns gegenseitig kennenlernen. So erfuhr ich, dass Laura Museumspädagogin ist und Ieva mit Kindern mit Beeinträchtigung arbeitet. Jorge ist ein Berufsschullehrer und unterrichtet Physik und Chemie. Wir waren also eine bunte Runde, mit unterschiedlichen Beweggründen, an dieser Fortbildung teilzunehmen.

Die nächsten Tage waren lehrreich. Nicht nur, dass wir jeden Morgen früher losgingen, weil es dann noch nicht zu warm und zu voll war, sondern auch, dass wir während des Pilgerns immer weniger miteinander sprachen. Auch ging jede/r nach ihrem/seinen Tempo, sodass wir uns zu verabredeten Pausen wieder trafen. Schnell sah ich darin eine Parallele zum Lernen im eigenen Tempo und dachte darüber nach, wie ich dies in meinem Unterricht noch besser ermöglichen kann. Bei all der Ruhe, die während der Routen durchs galicische Hinterland herrschte, dachte ich viel über den Einsatz meiner Stimme im Unterricht nach. Wann werde ich laute, wann leiser, in wiefern kann man noch mehr mit der Stimme Zeichen setzen.       
Ab und zu ertappte ich mich bei dem Gedanken, z.B. wenn es stark regnete und ich weit von einem Unteschlupf entfernt war, warum ich das eigentlich mache. Aber dann half mir ein Blick in die Natur und die vielen anderen Pilger, mich wieder zu finden und die Einfachheit während des Pilgerns zu genießen.

Ich lernte Galicien noch einmal von einer anderen Seite kennen, der sehr ländlichen Gegenden, wo ein Dorf auch mal nur aus fünf Häusern bestehen konnte, wo aber jeden Morgen das Brot frisch zur Haustür geliefert wurde. Wo die Menschen vieles selber anbauten und Tiere selber hielten. Ich sah viele Brücken, die noch von den Römern waren, und war jeden Tag aufs Neue von der Schönheit der galicischen Landschaft begeistert. Eigentlich wäre diese Route auch toll für ein Seminarfahrtsziel, stellte ich fest.

Jeden Abend sollten wir unsere Eindrücke von der Tagesroute in einem Padlet festhalten, was sehr spannend war, da Laura z.B. viel auf die Flora und Fauna geachtet hatte und somit Fotos von ihr unbekannten Pflanzen machte. Ieva hingegen zählte immer mehr die Tage rückwärts, da ihr unsere Tagesetappen zu lang und sie kaputt war. Ich freute mich darauf, meine Eindrücke vor allem mit meinen SchülerInnen zu teilen, da die Region Galicien in unserem Lehrwerk behandelt wird und es für die SchülerInnen immer interessant ist, wenn man persönliche Erfahrungen und Fotos mit ihnen teilt.

Ein besonders prägender Moment war, als wir auf der letzten Etappe zum ersten Mal die Kathedrale Santiagos sehen konnten. Zwar dachten wir, dass es ja sicherlich nicht mehr lange dauern könnte, doch wurden wir eines besseren belehrt. Wir brauchten tatsächlich noch anderthalb Stunden bis zum Vorplatz der Kathedrale. Aber was war das für ein tolles Gefühl, am Ende durch die Gassen Santiagos zu gehen, zusammen mit vielen anderen Pilgern und letztendlich anzukommen.     
Der Platz war für mich immer schon ein magischer Ort. Oft kam ich während meines Auslandsjahrs dorthin, um die ankommenden Pilger, ihre Freude und ihre Erleichterung zu beobachten. Menschen trafen sich wieder, umarmten sich und weinten gemeinsam. Glücklich, dass sie nach ihren teilweise 700km langen Etappen endlich an ihrem Ziel angekommen waren. Sei es zu Fuß, auf dem Rad oder zu Pferd. Allein, mit ihrem Hund, mit Nahestehenden oder Fremden. Und diesmal war ich eine von ihnen und nicht nur eine stille Beobachterin.

 

Alles in allem war es eine wirklich tolle Erfahrung. Ich bin vorher noch nie gepilgert oder gewandert, sodass ich Respekt vor den Tagesetappen hatte. Tatsächlich fand ich längere Spaziergänge früher immer langweilig. Doch während dieses Kurses merkte ich, wie schön es ist, dabei über viele Dinge nachzudenken und sie zu reflektieren. Und ich lernte, auch mal gedankenfrei zu sein, was mir anfangs sehr schwer fiel. Allerdings half mir da, einen Blick auf die galicische Landschaft zu werfen, von der ich jedes Mal wieder aufs Neue fasziniert bin.